Wolfgang Niedecken: „Die ‚Ice Bucket Challenge‘ ist mir nicht seriös genug“

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Wolfgang Niedecken: „Die ‚Ice Bucket Challenge‘ ist mir nicht seriös genug“

Der Kölsch-Rocker Wolfgang Niedecken und seine Band haben ein Album zusammengestellt, das den Fans als Wegzehrung dienen soll, während der anstehenden Auszeit. Im Interview erklärt der Musiker, inwiefern das Album untrennbar mit seinem überstandenen Schlaganfall verbunden ist - und was er vom aktuellen Eiswasser-Trend hält.

Unfassbares Glück hatte der Künstler Wolfgang Niedecken am 2. November 2011. Und nicht nur das, der BAP-Gründer zeigt auch eindrucksvoll, wie man einen Schicksalsschlag in überaus positive Energie verwandeln kann. Statt Wunden zu lecken, ließ er seinen Gedanken und Gefühlen freien Lauf… herauskam das Solo-Album „Zosamme Alt“ (2013). Und weil das so echt oder um es mit den Worten des 63-Jährigen zu sagen, so „organisch gewachsen“ ist, berührt es nicht nur seine Fans sondern auch seine Band-Kollegen. Seit ein paar Monaten sind sie damit nun schon gemeinsam auf Tour. Diese geht jetzt zu Ende und weil nun eine mindestens einjährige Auszeit ansteht, erscheint am morgigen Freitag quasi als Wegzehrung bis zum Jubiläumsjahr 2016 das Album zur Tour: „Das Märchen vom gezogenen Stecker“.

Welcher Titel den Kölschrocker selbst am meisten berührt, hat er im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news verraten. Verraten hat Niedecken auch, was er heute über seinen ersten Shitstorm denkt, den er im vergangenen Jahr durchlebt hat. Keine schöne Sache, doch einen wie ihn haut so etwas freilich weder um noch vom Sockel. Alles andere als auf einen Sockel hebt der Träger des Bundesverdienstkreuzes dagegen den anderen aktuellen Internet-Trend, die „Ice Bucket Challenge“ für die gute Sache – und das sogar trotz Helene Fischers sexy Version.

Am morgigen Freitag erscheint das neue BAP-Album „Das Märchen vom gezogenen Stecker“, basierend auf Ihrem Solo-Album „Zosamme Alt“ (2013). Wie viel Verarbeitung Ihres Schlaganfalls von 2011 steckt darin?

Wolfgang Niedecken: Dieses Album ist ein Dokument der in diesen Tagen zu Ende gehenden Tour. Diese Tour war eine Konsequenz aus dem Solo-Album , das ich aufgenommen habe, weil ich mich bei meinem Schutzengel, also meiner Frau, bedanken wollte. Wenn sie es nicht geschafft hätte, mich binnen einer halben Stunde in der Neurologie der Uni-Klinik abzuliefern, dann weiß ich nicht, ob wir heute miteinander sprechen würden…

Nervt es Sie, heute noch nach Ihrem Schlaganfall 2011 gefragt zu werden?

Niedecken: Der 2. November ist kein Tabu-Thema, ich grenze es nicht aus. Für mich war es damals auch ein schöner Tag, weil letztendlich ja alles gut gegangen ist. Alles ist für irgendetwas gut.

Wie schafft man es denn, dem eigenen Köper nach so einem Zwischenfall wieder zu vertrauen?

Niedecken: Das konnte ich relativ schnell. Als ich aus der Narkose aufgewacht bin, war ich unmittelbar zuversichtlich, dass alles wieder so wird, wie es war. Und im Grunde genommen ist es sogar noch viel besser geworden, weil ich noch gesünder lebe und mich noch vernünftiger verhalte.

Vernunft und Rock’n’Roll, wie passt das zusammen?

Niedecken: Für einen Rock’n’Roller ist es natürlich schon eher eine Katastrophe, im Ruf zu stehen vernünftig zu sein. Andererseits bin ich wirklich lieber altersmilde als berufsjugendlich. Ich hab daraus gelernt und meine Konsequenzen gezogen. Es gibt Fußballer, die nehmen die gelbe Karte nicht wahr und fliegen dann mit Gelb-Rot vom Platz. Das wird mir nicht passieren.

Welches ist der persönlichste Track auf dem neuen Album?

Niedecken: Das Lied, mit dem das Live-Album anfängt, ist schon sehr persönlich: „Noh all dänne Johre“. Es war schon auf unserem letzten Studio-Album (2011), dessen zugehörige Tour dann ja erst einmal ausfallen musste. Ebenfalls sehr persönlich und die Seele des Vorgängeralbums „Radio Pandora“ (2008) war: „Frankie un er“, ein Stück über Männerfreundschaften. Bei diesen beiden Stücken habe ich am meisten mit einem Kloß im Hals zu kämpfen. Das gilt aber erstmal nur für mich, subjektiv empfindet es wahrscheinlich jeder anders.

Das Album enthält 30 Tracks. Das ist viel. Warum?

Niedecken: Es sollten einfach möglichst alle Songs drauf, die wir auf der Tour gespielt haben. Wir hätten noch mehr drauf packen können, aber der Platz hat nicht ausgereicht. Nicht auf das Album genommen haben wir Stücke, die eher satirischen Charakter haben oder leicht klamaukig sind. Solche Lieder können auf einem Album auf Dauer nerven.

Ab September wollen Sie „von der Bildfläche verschwinden“, um sich auf das Jubiläumsjahr 2016 vorzubereiten: 40 Jahre BAP. Was machen Sie abseits der Bildfläche?

Niedecken: Ich habe mir selbst verordnet, mal loszulassen und werde mich ein Jahr lang verziehen, auch um alles sacken zu lassen. Das ist nötig. Ich bin aber auch schon ungeheuer gespannt, was im Laufe des kommenden Jahres dann aus mir heraus will… Hoffentlich werde ich nicht ungeduldig!

Wird es 2015 ein neues Album geben?

Niedecken: Ich möchte eine organische Entwicklung zulassen und keine am grünen Tisch entworfenen Reißbrett-Alben aufnehmen. Karriereplanung nach dem Motto „Wo müssen wir 2018 stehen?“ mag ich nicht. Das weiß ich nicht und das will ich auch nicht wissen. Deswegen ist die Situation momentan ja so großartig. Wenn wir wollen und uns genug einfällt, gibt es 2015 ein neues BAP-Album. Wenn nicht, dann eben nicht.

Werden Sie die möglichen neuen Songs zum 40. Jubiläum spielen?

Niedecken: Eher nicht. Zum 40. Jubiläum wird es 2016 eine Jubiläumstour mit einem ziemlich hitlastigen Programm geben, was aber nicht ausschließt, auch einen neuen „Hit“ zu spielen. Das machen wir als Album-Band normalerweise nicht. Bei uns kann man jeden Track vom Album in die Waagschale werfen, es gibt keine Füller. Auf diese Weise haben wir nach 17 Studio-Alben, Solo-Alben und Live-Alben mit Extrastücken ein riesiges Repertoire – und somit vor jeder Tour ein Luxusproblem.

Im Mai 2013 haben Sie eine neue Erfahrung gemacht: Sie sind in einen Shitstorm geraten. Wie würden Sie den Vorfall aus heutiger Sicht beschreiben?

Niedecken: Meine Tochter hat Abitur gemacht und dann gab es einen Abi-T-Shirt-Wettbewerb. Kurz vor Schluss hatte irgendjemand die Idee, das auf unsere Seite zu posten und weil ich gut gelaunt war, hab ich „ja“ gesagt. Das war der Fehler. Familie und Beruf muss man ganz klar trennen. Das mache ich sonst ja auch, aber an der Stelle habe ich einfach mal kurz die Deckung vernachlässigt. Ich bin relativ unvorbereitet da hineingeraten, weil ich mich nicht auskannte. Das wird mir aber nicht nochmal passieren.

Was halten Sie generell von diesem Internet-Phänomen?

Niedecken: Durch die Anonymität hat es etwas von an den Pranger stellen. Natürlich liegt es auch ein bisschen in der eigenen Verantwortung: Wenn du viel über das Internet promotest, kann es ähnlich nach hinten losgehen, wie wenn du die Boulevard-Medien zu dir nach Hause einlädst. Irgendwann haben andere dann das Gefühl, deine Familie würde ihnen gehören.

Nächstes Internet-Phänomen: Sind Sie schon für die „Ice Bucket Challenge“ nominiert worden?

Niedecken: Nein, das würde ich aber auch nicht machen. Ich weiß auch gar nicht, ob ich das durchstehen würde.

Schlagerstar Helene Fischer hat es damit auf die Titelseiten aller Tageszeitungen geschafft…

Niedecken: Stimmt und irgendwie ist es unfassbar: Da muss man sich einfach nur schön sexy zurecht gemacht einen Eimer Eiswürfelwasser über den Kopf schütten lassen und schon findet man auf sämtlichen Boulevard-Titelseiten statt. Ein sensationeller Promo-Coup – ob Helene Fischer allerdings wirklich vom Thema ALS umgetrieben wurde, kann ich nicht sagen, denn wir sind uns nur einmal über den Weg gelaufen. Mehr als Smalltalk war da nicht.

Wie finden Sie es generell, so eine witzige Aktion zu starten, um auf eine ernste Krankheit aufmerksam zu machen?

Niedecken: Manche sagen ja „Any promotion is good promotion“, dennoch würde ich es nicht machen. Auch für mein Kindersoldatenprojekt in Norduganda käme ich nicht auf so eine Idee. Das ist mir einfach nicht seriös genug. Aber das soll jeder selbst entscheiden.