Warum Dirndl früher viel mutiger waren

Magazin

Warum Dirndl früher viel mutiger waren

Ein schönes Dirndl muss nicht neu sein: Ganz im Gegenteil, meint Trachten-Expertin Julia Müller, die unter dem Namen "Fuchsdeifeswuid" Vintage-Dirndl verkauft. Im Interview erklärt sie, warum diese so beliebt sind und ob man für den großen Auftritt tatsächlich ein Dirndl mit tiefem Ausschnitt braucht.

Gehört der tiefe Ausschnitt zum Dirndl dazu? Was ist an alten Trachten besser? Und darf ein Dirndl auch überm Knie enden? Fragen über Fragen, die Antworten kennt Julia Müller. Die gelernte Medientechnik-Ingenieurin verkauft unter dem Namen „Fuchsdeifeswuid“ Vintage-Dirndl im niederbayerischen Landshut. Ihre Kombination aus Vintage und Tracht scheint anzukommen. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklärt sie, warum das so ist und weshalb Dirndl früher authentischer waren.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Vintage-Dirndl „zu machen“?

Julia Müller: Das ist langsam entstanden. Da ich früher viel gekellnert habe, waren Dirndl meine Arbeitskleidung. Viele waren einfach nur schrecklich. Form und Qualität waren nicht gut. Sie verzogen und verfärbten sich und sahen billig aus. Privat setzte ich immer mehr auf alte Dirndl: Jedes Fundstück trug ich stolz aus. Natürlich erntete ich viele Komplimente. Irgendwann wollten die ersten Freundinnen auch so ein Dirndl haben. Denn meine Dirndl hatte niemand an, ihre meist das halbe Bierzelt.

Warum Vintage?

Müller: Ich habe generell einen Tick für Altes: Design-Klassiker, schöne Oldtimer, alte Fotos – damals hatte das Meiste einfach mehr Stil. Ich finde es schön, dass für eine „längere Zeit“ designt wurde. Deshalb war auch das Material häufig besser. Heute ist alles so schnelllebig. Unter den günstigen Preisen und dem Zeitdruck leidet die Qualität.

Was unterscheidet alte Dirndl von neueren Modellen?

Müller: Die Materialien und die Verarbeitung sind sehr gut. Man kann sie waschen, heiß bügeln und sie sehen auch nach Jahren noch schön aus. Sie wurden häufig aufwendig handgereiht und liebevoll gefertigt. Alte Dirndl wurden nicht nur für „eine einzige Wiesn“ genäht. Ich finde sie einfach authentischer und ehrlicher. Außerdem waren die Dirndl früher viel mutiger und es gab zig unterschiedliche Formen. Heute findet man überwiegend Dirndl, die bemüht sexy sind. Ursprünglich war das nicht so gedacht.

Wie genau gehen Sie vor, sobald sie ein altes Dirndl vor sich haben?

Müller: Also erst einmal freue ich mich: Ich weiß ja nie, wann ich wo etwas finde. Habe ich mich für ein Dirndl entschieden, wird es gewaschen. Beim Aufbügeln kontrolliere ich es ganz genau auf Defekte. Wenn ein Kleidungsstück Jahrzehnte hinter sich hat, gibt es oft kleinere Mängel. Die meisten lassen sich aber gut beheben. Offene Nähte oder defekte Verschlüsse – dass wird alles wieder ordentlich hergerichtet.

Würden Sie sagen, dass Dirndl Ihre Leidenschaft sind?

Müller: Ja, natürlich. Ich beschäftige mich tagtäglich damit und meistens träume ich auch davon.

Gehört ein klassisches Dirndl hochgeschlossen oder mit schönem Dekolleté?

Müller: Ich mag beides. Hochgeschlossene Dirndl haben für mich einen ganz besonderen Reiz. Denn auch wenn man keine Brust zeigt, sieht man unheimlich weiblich in ihnen aus. Sie sind wahre Figur-Schmeichler. Gegen einen schönen Balkonett-Schnitt ist aber auch nichts einzuwenden. Beides sind Klassiker! Leider wurde beim Dirndldekolleté oft übertrieben: Es wurde gequetscht und gepuscht, die Blusen immer tiefer oder gleich durchsichtig. Das sieht in meinen Augen nicht mehr schön aus.

Darf ein Dirndl auch überm Knie enden?

Müller: Bei Kindern oder sehr jungen Mädchen ist das noch süß. Bei Erwachsenen finde ich das nicht gut. Es macht keine gute Figur, da die Proportionen nicht mehr stimmen. Das Mieder ist dann so lang wie der Rock. Man sieht aus wie eine Sanduhr. Je kürzer, desto weiter wird der Rock auseinander gedrückt, er hat kein Gewicht mehr, um schön zu fallen. Die klassische Wadenlänge steht aber eigentlich jedem.

Was denken Sie: In welche Richtung geht der Dirndl-Trend für die Wiesn?

Müller: Ich weiß nicht, ob man von einem Trend sprechen kann, aber: Viele Leute legen wieder Wert auf Qualität, wollen sich abheben von der Masse. Man will elegant und nicht bemüht sexy aussehen. Auch die hochgeschlossenen Dirndl, oder welche mit Ärmeln werden bei mir wieder gern gekauft.

Farbe, Stoff, Länge – Was geht Ihrer Meinung nach gar nicht beim Dirndl?

Müller: Absolute No-Gos für mich sind diese billigen, glänzenden Stoffe! Das erinnert mich an einen Müllsack. Außerdem muss ein Dirndl die Figur umschmeicheln. Es kommt eben auf den richtigen Schnitt und festen Stoff an. Unpassende Schnitte, die Falten werfen, gehen gar nicht.

Welche Dirndl-Accessoires dürfen auf der Wiesn nicht fehlen?

Müller: Ein stimmiges Gesamtoutfit ist wichtig. Auch wenn es noch so praktisch ist, ausgelatschte Ballerinas oder der große Shopper, sehen zum Dirndl nicht schön aus. Perfekt sind klassische Pumps mit etwas breiterem Absatz und eine schöne Handtasche. Natürlich farblich abgestimmt. Ich bevorzuge da bestickte Gobelintaschen und Trachtenkörbe. Diese passen perfekt zum Dirndl. Bei Balkonett-Dirndl macht man mit einem schönen Kropfband nichts falsch.

Wie teuer sind Ihre Vintage-Dirndl?

Müller: Das kann ich pauschal nicht beantworten. Manche sind zeitlos, schön und schnörkellos, andere üppig bestickt oder aus feinsten Materialien. Die Preise richten sich nach Alter, Zustand, Stoff, Material, Verarbeitung sowie Seltenheit. Dirndl bewegen sich meist zwischen 50-110€. Exklusive Modelle wie Brautdirndl zwischen 100-200€.

Wie viel sollte man für ein schönes neues Dirndl ausgeben?

Müller: Bei Neuware sollte man mehr investieren: Ab 500 Euro bekommt man schöne und gute Dirndl. Darunter handelt es sich meist um Massenware aus dem Ausland. Hochwertige Verarbeitung und gute Materialien haben einfach ihren Preis. Lieber ein Gutes statt fünf billige Dirndl kaufen.