Wallis Bird: „Ich habe viel Zeit in Nachtclubs verbracht“

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Wallis Bird: „Ich habe viel Zeit in Nachtclubs verbracht“

Die Songwriterin Wallis Bird ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt: Erfolgreiche Musik geht auch anders. Ohne Majorlabel - und ohne Kalkulation. In Songs, oder auch in Interviewantworten. spot on news hat sie erzählt, welche Rolle Sex und Berliner Nachtclubs auf ihrem neuen Album spielen. Und warum Musik für sie Familiensache ist.

Die Irin Wallis Bird ist keine Songwriterin wie jede andere. Nicht nur, dass die 32-Jährige ihre Gitarre aufgrund eines Unfalls in Kindertagen einfach seitenverkehrt spielt. Nein, die Wahl-Berlinerin macht auch sonst einiges auf ihre eigene Art: Von Major-Labels und langfristigen Verträgen hält sie sich fern – Musik ist für sie Familiensache, wie sie sagt. Und ansonsten setzt sie ganz auf Ehrlichkeit. In ihren Songs, aber auch im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.

Da verrät die Künstlerin zum Beispiel, dass neben der Suche nach einem Zuhause auch Sex auf ihrem neuen Album eine gewichtige Rolle spielt. Oder dass so einige musikalische Inspiration aus dem Klang der Berliner Nachtclubs und Bars stammt. Aber das passt zum Konzept: Denn Wallis Bird will über die Musik „direkt“ mit den Hörern kommunizieren, wie sie sagt. Ein Plan, der meist aufgeht. Abzulesen ist das an enthusiastischen Kommentaren unter Youtube-Videos und sehr beachtlichen Verkaufszahlen – eben auch ohne Majorlabel. Am Freitag erscheint Wallis Birds neues Album „Architect“.

Sie kommen aus Irland und leben mittlerweile in Berlin. Ein Umstand, der die Deutschen besonders zu interessieren scheint. Warum gerade Berlin?

Wallis Bird: Ich wohne seit eineinhalb Jahren in Berlin und bis jetzt bin ich sehr zufrieden. Die Freiheit hier ist perfekt für mich, die Kultur ist absolut der Hammer! Multikulti; das politische System ist aktuell das beste, Deutschland ist sehr liberal, was Meinungen und Lebensart angeht. Vielleicht ist in Berlin gerade die beste Zeit, solange es noch nicht so bekannt ist. Gerade ist alles noch sehr echt.

Ist Berlin auf ihrem neuen Album auch zu hören? Die Single „Hardly Hardly“ klingt ja recht soulig. Eher eine Richtung die gerade ziemlich groß in Mode ist. Kann man so gezielt einen Hit schreiben?

Wallis Bird: Ich habe viel Zeit in Nachtclubs verbracht, als ich nach Berlin gekommen bin. Ich glaube, da ist viel Popmusik in meinen persönlichen Rhythmus gesickert, in mein Blut, sozusagen. Aber es gibt keinen Weg, bewusst eine Hit-Single zu schreiben. Wenn man sich meine Songs anhört, dann ist das ja auch nicht wirklich Hit-Single-Material. Eher sind da verschiedene Dinge, die sich für mich gut anfühlen in einen Sound verwoben. Wenn ich viel Zeit in Nachtclubs oder in Bars oder mit Leuten, die viel moderne Musik hören, verbringe, dann kann ich nicht anders, als diese Klänge auch in meinen Körper und mein Schreiben mit aufzunehmen.

Stimmt es eigentlich, dass das Album von einer gescheiterten Beziehung handelt?

Wallis Bird: Der Anfang des Albums wurde über eine zu Ende gehende Beziehung geschrieben, ja… Aber es hat sich dann auch schnell davon weg entwickelt: Es geht vielleicht mehr um Freiheit. Das Album handelt davon, Single zu sein und wieder zu lernen, was ich eigentlich tun will. Die Dinge, die ich nicht getan habe, weil ich in einer Beziehung war. Es ist ein Freiheits-Album: Wieder ein Teenager sein.

Das Album heißt „Architect“ – geht es also vielleicht darum, etwas wiederaufzubauen?

Wallis Bird: Ja, genau! Das Gespür für das eigene Ich wieder aufbauen.

Wie klingt das, was ist auf dem Album zu erwarten?

Wallis Bird: Das neue Album hat viel mehr Energie, es ist tiefer und dunkler im Ton. Es geht auch viel um Sex in den Texten.

Wann kam die Idee für den Titel?

Wallis Bird: Ich war in Vermont in Amerika und habe ein paar Freunde besucht – und wir waren in dem Haus, dass ein Freund dort mit eigenen Händen gebaut hat. Er hat zwei Kinder dort bekommen und mir alles gezeigt; die Orte im Haus, die für ihn Bedeutung haben. So ein Gebäude ist mehr als ein Platz und Material – es lebt! Da habe ich sofort gemerkt: Ich hatte kein Heimatgefühl in mir. Das war die Entscheidung, dass ich an einem anderen Ort als London leben muss, damit ich alles an einem Platz haben kann. Das war ein neuer Anfang. Der Name ist ein wenig von Sun Ra gekommen, das ist eine Art Experimental-Jazz-Freak-Prodigy – er hatte sein „Arkestra“. Wie die Arche und das Orchester.

Wenn man sich die Kommentare unter Ihren Youtube-Videos durchliest, hat man den Eindruck, Ihre Musik berührt die Menschen sehr stark. Andere Künstler haben mehr Kommentare – aber Ihre sind sehr enthusiastisch. Wie berührt man Menschen so direkt?

Wallis Bird: Naja: Alle Künstler die ich geliebt habe, haben direkt zu mir gesprochen. Es gab da immer eine große Ehrlichkeit und Direktheit in ihren Lyrics. Und nach der Maßgabe lebe ich auch: Ich sage, was ich sehe und empfinde und versuche etwas zu lernen, auch aus der Reaktionen der andere Menschen. Ich glaube, wenn ich so schreibe, dann kommt etwas zurück zu mir. Dann kann ich aus dem lernen, was ich mache. Die Leute scheinen mir das anzubieten und ich bin sehr glücklich darüber. Ich bin offen für das, was die Menschen mir erzählen.

Sie haben auch eine Weile an der Popakademie in Mannheim studiert. Kann man Musik „lernen“?

Wallis Bird: Ich habe zwei Jahre die Musikhochschule Dublin besucht, bevor ich ein dreimonatiges Stipendium in Mannheim bekommen habe. Damals war das letzte was ich tun wollte, war nochmal das Gleiche zu lernen. Also bin ich mit der Idee dahingegangen, Kontakte zu knüpfen und Equipment zu nutzen. Und natürlich habe ich auch viel gelernt. Aber wenn es um Songwriting geht, dann glaube ich: Wenn man sich entwickeln will, dann braucht man Inspiration und absolute Freiheit. Denn wenn man Zahlen oder Funktionalität oder eine mathematische Gleichung über einen Song stellt, dann kann man das Ding wegwerfen. So verbessert man sich nicht – man verliert nur das Herz und die Seele der Musik.

Dazu passt auch die Geschichte, dass Sie sich bewusst von Majorlabels und längerfristigen Verträgen fernhalten. Stimmt das?

Wallis Bird: Absolut. Leider braucht man einiges an Kapital in der Musikindustrie. Deswegen gibt es Majorlabels, die einige Projekte bekannter machen, als sie es sonst geworden wären. Aber ich glaube, dass die Musikindustrie ohne echte Musik nicht existieren würden. Oft vergisst die Musikindustrie die „Musik“ und ist nur „Industrie“. Deswegen halte ich mich von der Idee eines Majorlabels fern. Das sind einfach zu viele Leute. Ich habe lieber ein familiäres Gefühl. Das ist besser, als mit 50 Leuten zu arbeiten, die 100 andere Projekte haben. Ich bin ein Familienmensch. Alles macht mehr Sinn, wenn es ein wenig intimer ist.

Und es geht offenbar auch ohne.

Wallis Bird: Ja. Ich glaube, man braucht eine moralische Idee, die Grundlage, dass es um Musik geht, und nicht um eine Bank. Nicht darum, ein Unternehmen am Leben zu erhalten – sondern Musik und Kunst am Leben zu erhalten. Ein Label sollte auf Künstler aufpassen, sie aufbauen und begleiten – und nicht schauen, wie viele Platten sie verkaufen und sie dann wegwerfen. Und genau das passiert sooo oft. Musik ist eine lebenslange Kunst. Wenn man an etwas glaubt, dann findet man Menschen die an das Gleiche glauben. Und dann kommt man weiter. Das ist eine ganz einfache Idee.