Marcus Wiebusch: „Ich habe Bammel vor der Tour“

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Marcus Wiebusch: „Ich habe Bammel vor der Tour“

Marcus Wiebusch ist seit langem eine Institution der deutschen Rockmusik. Jetzt begibt sich der Sänger der Hamburger Band Kettcar zum ersten Mal in seiner Karriere auf Solopfade. Im Interview mit spot on news spricht Wiebusch über Sprechgesang, Bammel vor der Tour und Homosexualität im Profifußball.

…but Alive, Rantanplan und zuletzt Kettcar: Die Geschichte der deutschen Punk- und Rock-Musik wäre ohne Marcus Wiebusch und seine (Ex-)Bands zweifellos eine andere. Jetzt geht der 45-Jährige zum ersten Mal in seiner Karriere den für ihn ungewohnten Solo-Weg. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news spricht Wiebusch über bissige Texte und Sprechgesang, aber auch über das Outing von Thomas Hitzlsperger und Homosexualität im Profifußball.

Ihr Soloalbum „Konfetti“ kam am vergangenen Freitag auf den Markt. Warum hatten Sie den Drang, eine Platte ohne Ihre Band Kettcar aufzunehmen?

Marcus Wiebusch: Ich wollte weniger über Musik reden, sondern einfach machen. Wenn man schon so lange zusammen ist wie wir bei Kettcar, verhandelt man auch viel über Musik. Das ist oft sehr gut für einen Song, manchmal aber eben auch nicht. 2011 habe ich dann den Entschluss gefasst, dass ich wieder schneller und intuitiver an die Sache herangehen wollte.

Wie viel Mut hat Sie der Schritt gekostet?

Wiebusch: Mut wäre das falsche Wort, das klingt so heldenhaft und das bin ich sicherlich nicht. Aber man spürt einen größeren Erfolgsdruck, weil der eben nur auf einer Schulter lastet – und das ist meine.

…but Alive, Rantanplan, Kettcar. Sie hatten bis auf ein Tape in den 90ern immer eine Band um sich herum, auch wenn Sie deren Frontmann waren. Was ist der elementare Unterschied zwischen einer Band und einem Solo-Künstler?

Wiebusch: Man entscheidet alles alleine. Klar, ich arbeite auch bei „Konfetti“ mit Produzenten zusammen, aber Entscheidungen werden nicht groß verhandelt. Es steht am Ende auch mein Name auf dem Cover.

Geht es mit Kettcar überhaupt weiter?

Wiebusch: Auf alle Fälle, wir haben uns entschlossen, dass wir uns im Herbst zusammensetzen und schauen was wir für ein Album aufnehmen. Ich hoffe, dass es dann mit vollem Schwung und vollem Elan weitergeht.

Auf Ihrem Solo-Album experimentieren Sie viel herum, ohne Ihren typischen Klang zu verlieren. Haben Sie sich frei leiten lassen?

Wiebusch: Ich wollte nicht ins Avantgardistische abgleiten, habe aber schon bewusst Dinge ausprobiert und wollte etwas Neues machen. Elektronische Elemente oder auch Sprechgesang. Ich glaube, dass dieser typische Wiebusch-Klang meine Stimme ist, aber ich verleugne mit der Platte sicher auch nicht meine vorherigen Projekte. Schließlich liebe ich die Musik, die ich die letzten Jahre gemacht habe.

Sie haben den Sprechgesang schon angesprochen. Haben Sie privat eine Affinität für Hip Hop oder Rap-Musik?

Wiebusch: Ich höre schon immer Hip Hop. Vor allem in den 90ern mit Beastie Boys oder RunDMC, aber auch heute liebe ich Platten von Kanye West genauso wie die von Arcade Fire. Mit Kettcar hatte sich aber eine andere Art von Songwriting etabliert, da würde Sprechgesang nicht passen.

Auch Ihre Texte sind schärfer geworden. Sie prangern offen gesellschaftliche Probleme wie Homophobie an, kritisieren das Hipstertum und den Kapitalismus, teilweise auch mit direkter, offener Sprache.

Wiebusch: Ich wusste, dass ich eine Menge Text produzieren werde, weil ich bewusst auch die Sprache in meinem Solo-Album direkter werden lassen wollte. Bei Kettcar ist alles sehr lyrisch und wir arbeiten viel mit Metaphern. Auch deswegen ist der Sprechgesang jetzt ein gutes Mittel meine Texte zu vermitteln. Man sagt mir auch seit jeher eine gewisse Fähigkeit nach, Sprache zum Klingen bringen zu können.

Wie wichtig sind Ihnen politische Statements in Ihren Texten?

Wiebusch: Ich schreibe mir keine große Relevanz zu, die Eitelkeit fehlt mir. Aber mir war wichtig, diese Seite von mir wieder zum Vorschein zu bringen. Ich wollte zurück zur inhaltlichen Ebene und habe mich viel eingelesen und viel Recherche betrieben.

In „Der Tag wird kommen“ thematisieren und kritisieren Sie die Homophobie im Profi-Fußball. Waren Sie überrascht vom Outing von Thomas Hitzlspergers?

Wiebusch: Das Lustige ist, dass der Song schon lange vorher fertig war und ich ihn auch schon vielen Leuten gezeigt hatte. Mein Telefon hat nicht mehr still gestanden, als diese Nachricht am 8. Januar durch die Medien ging.

Wie kamen Sie auf die Idee, dieses schwierige Thema in einem Song zu verarbeiten?

Wiebusch: Ich habe mich nach einem St. Pauli-Spiel mit einem Journalisten unterhalten, der mir von homosexuellen Fußball-Profis erzählt hat. Ich finde den Zustand, den diese Menschen ertragen müssen, unfassbar. Auch mein Bruder, der im Stadion neben mir sitzt, ist homosexuell und hat natürlich eine sehr dezidierte Meinung dazu. Leider ist es noch nicht so weit, dass sich ein Aktiver outet, aber wie der Song auch heißt: „Der Tag wird kommen“. Ich bin davon fest überzeugt. Wenn mir jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, dass wir einen schwulen Außenminister haben werden, der in Länder reist in denen Homosexualität unter Strafe steht, dann hätten wir doch alle gesagt: „Das wird nicht passieren. Politik und Homosexualität geht nicht zusammen.“ Und siehe da – zehn Jahre später ist es doch soweit. Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten.

Haben Sie Bammel vor der kommenden Tour? Das erste Mal ohne die vertrauten Jungs um sich herum…

Wiebusch: Ja, aber nur, weil ich bei drei Songs keine Gitarre umhängen habe. Das ist das erste Mal in meiner Karriere und ich glaube, dass ich irgendwas zum Festhalten brauche. Ich schaue schon immer Live-Videos von Jay-Z. So wie der mache ich das dann glaube ich auch.