Jean-Pierre Jeunet: „Ich liebe es, an meinem Computer zu arbeiten“

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Jean-Pierre Jeunet: „Ich liebe es, an meinem Computer zu arbeiten“

Mit "Die fabelhafte Welt der Amélie" eroberte Jean-Pierre Jeunet die Herzen der Kinobesucher. Sein neuer Film "Die Karte meiner Träume" hat am Freitag das Filmfest München eröffnet - und die Zuseher erneut verzaubert. spot on news hat den Regisseur getroffen und mit ihm über sein neuestes Projekt gesprochen.

Jean-Pierre Jeunet (60) ist bekannt für seine zauberhaften Filme – den Zuschauer nimmt der Franzose stets mit auf eine Reise in die ganz individuellen Welten seiner Figuren: In „Die fabelhafte Welt der Amélie“ hatte Jeunet ein buntes und nostalgisches Frankreich entworfen. Sein neuer Film, „Die Karte meine Träme“, entführt erneut in eine für deutsche Augen exotische Welt: Diesmal geht die Reise in die dramatische Landschaft von Montana zu einem kleinen Genie, das selbstsicher seinen Weg geht. Die Nachrichtenagentur spot on news hat den Regisseur auf dem Filmfest München getroffen und mit ihm über seine eigene Kindheit, über T.S. Spivet und Amelié Poulain gesprochen.

Herr Jeunet, T.S. Spivet, der kleine Junge in ihrem neuen Film „Die Karte meiner Träume“, ist sowohl naiv als auch zielstrebig. Ähnelt er auch dem Charakter von Amélie?

Jean-Pierre Jeunet: Ja, vor allem ähneln sie beide mir. Ich war zwar kein Genie oder Wissenschaftler wie T.S., aber als ich neun Jahre alt war, liebte ich es, mit meinen Händen zu arbeiten. Ich wollte schon immer etwas schaffen. Ich habe schon als kleines Kind ein Modell-Theater gebaut, mit Figuren und allem drum und dran. Ich habe sogar die Lampe meiner Eltern kaputt gemacht um mein Bühnenlicht zu basteln. Für mich ist der Schaffensprozess immer noch das größte Vergnügen. Jean Renoir sagte schon: „Ich tue die Dinge, weil sie mir Freude bereiten, der Rest interessiert mich nicht.“

Ist das auch Ihre Philosophie?

Jeunet: Genau. Das sage ich auch meinen Studenten. Die fragen mich immer: „Was muss ich tun, um ein Regisseur zu werden?“ Ich frage dann zurück: „Willst du ein Regisseur sein, oder willst du Filme machen?“ Sie wollen meistens berühmt werden, auf dem roten Teppich sein, viel Geld machen und mit schönen Frauen reden, aber darauf kommt es meiner Meinung nach nicht an. Wenn du wirklich Filme machen willst, dann musst du nur deine Kamera nehmen und loslegen. So einfach ist das.

Wie war die Arbeit mit dem Hauptdarsteller Kyle Catlett? Die ganze Produktion liegt ja eigentlich in den Händen eines kleinen Jungen, der gerade mal zwölf Jahre alt ist.

Jeunet: Er war sogar erst neun. T.S. Spivet soll eigentlich zwölf Jahre alt sein, aber wir konnten einfach keinen geeigneten Kandidaten finden. Als ich dann fragte, warum wir uns nicht die Nummer zwei und drei der gecasteten Schauspieler für „Hugo Cabret“ anschauten und mir gesagt wurde, dass ich die schon gesehen habe, wurde ich so langsam nervös. Plötzlich war dann da dieses Kind über Skype. Zu klein, zu jung, aber er hat mich überzeugt. Er sagte: „Ich spreche Chinesisch und Russisch, ich bin ein Martial Arts Champion und kann auf Kommando weinen, schau her!“ Da dachte ich: Den muss ich kennenlernen.

Und wie hat er sich geschlagen?

Jeunet: Er ist ein richtiger Profi. Ich konnte mit ihm reden wie mit Audrey Tautou. Er wollte jeden Stunt selbst machen und beschwerte sich nie. Er hatte nebenher noch einen Dreh für eine TV-Show, was den Zeitplan unglaublich kompliziert machte. Ein einziges Mal hat er geweint, aber nicht wegen des Stress oder etwas ähnlichem, sondern weil er eine Grille verloren hatte. Ich dachte, er will mich veräppeln, aber so war es.

Was gefällt Ihnen am Filmemachen selbst so gut?

Jeunet: Als ich sehr klein war, habe ich auch viel mit Elektronik ausprobiert. Die Frage war immer, ob ich einen technischen Beruf lerne oder doch lieber Filme machen will – und dann dachte ich an Animation. Das vereint beides! Da kann ich meine Puppen und mein Set selbst bauen, genau wie bei Tim Burton. Das war ein guter Einstieg ins Filmgeschäft. Jetzt liebe ich es, an meinem Computer zu arbeiten. Ich probiere aus und spiele das ganze Wochenende herum. Montagmorgens, wenn sich dann alle wieder am Set einfinden, fragen mich die anderen: „Wann schläfst du eigentlich noch?“

„Die Karte Meiner Träume“ mit Helena Bonham Carter, Judy Davis und Kyle Catlett startet am 10. Juli bundesweit in den Kinos.