Jan Delay: „Helene Fischer hören Leute, die sonst keine Musik hören“

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Jan Delay: „Helene Fischer hören Leute, die sonst keine Musik hören“

Kein anderer deutscher Musiker ist so experimentierfreudig wie Jan Delay, wenn es darum geht, die Genre-Grenzen zu sprengen. Nach Reggae und Funk ist jetzt Rock dran und der Hamburger lässt es auf seinem neuen Album "Hammer & Michel" ordentlich krachen. Wie das zu seinen Hip-Hop-Wurzeln passt, und wie er den Helene-Fischer-Hype einordnet, erklärt der 37-Jährige im Interview.

Jan Delay gehört zu den einflussreichsten Musikern in Deutschland. Heute erscheint sein neues Album „Hammer & Michel“. Nachdem er sich in seiner Solo-Kariere bereits den Genres Reggae und Funk gewidmet hat, ist jetzt ein richtiges Rock-Album entstanden. Denn nichts nervt den Musiker mehr als Langeweile und Eintönigkeit. Wie Rock zu seiner alten Liebe Hip-Hop passt, warum sein Rocker-Freund Udo Lindenberg nicht als musikalisches Vorbild für das Album gedient hat, was es mit dem Helene-Fischer-Hype auf sich hat, und warum das klassische St.-Pauli-Feeling nur noch an wenigen Ecken existiert, erklärt er im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.

Vom Chef-Styler zum Rocker. Tauschen Sie jetzt Krawatte gegen Lederjacke?

Jan Delay: Nein, das bleib ich natürlich! Man muss nicht mit der Musikrichtung das Outfit wechseln, und selbst wenn, kann man ja trotzdem ein Styler bleiben, sagt David Bowie. Das mit dem Chef-Styler hab ich in einer Zeile in einem Song gesagt, weil wir Hip-Hopper sowas nun mal machen und dann haben sich das die Leute rausgepickt. Aber ich hab mich nirgends hingestellt und gesagt: „Ey, ich bin der Chef-Styler, damit das klar ist!“

Immerhin sind Sie Krawattenmann des Jahres.

Delay: Damit die mich wählen, hab ich viel Geld gezahlt. Nein, Quatsch, ich schäm mich ja nicht dafür. Das ist aber nicht wichtig für mich, ich mach lieber geile Musik.

Sie haben in jedem Solo-Album ein neues Musik-Genre ausprobiert. Erst Reggae, Funk und Soul, jetzt Rock. Sie kommen aus dem Hip-Hop, wie passt das mit Rock zusammen?

Delay: Die Tatsache, dass ich so viele verschiedene Sachen ausprobiert habe, passt super zu der Tatsache, dass ich vom Hip-Hop komme. Mit dem Sampler aus Platten bestimmte Sequenzen nehmen und daraus etwas Neues machen. Afrika Bambaataa, der Godfather des Hip Hops, hat gesagt: „Du guckst dich um und nimmst von allem, was du gut findest, einzelne Aspekte und mischst das mit deiner eigenen Identität. Damit kreierst du deinen eigenen Stil.“

Klingt nach einer guten Einstellung.

Delay: Das gilt eben nicht nur für die Musik. Ich hab das letztendlich auf mein ganzes Leben gemünzt. Auch auf Politik, Essen oder Klamotten. Es gibt keine Genre-Grenzen, man nimmt sich das, was man gut findet und baut sich daraus seine eigene Ideologie.

Sehen Sie da eine Parallele zwischen Rock und Hip-Hop?

Delay: Ja genau. Afrika Bambaataa hat einen Break Beat von den Rolling Stones in seine Lieder eingebaut und die Leute fragten, was ist das denn Derbes und sind durchgedreht. Wenn man damit aufwächst, bekommt man einen ganz weiten Horizont.

Sie experimentieren also gern?

Delay: Ja, soviel verschiedene Musik macht einfach Spaß. Wenn man dann auch noch schnell gelangweilt ist wie ich und eine Platte wie „Bambule“ hingelegt hat, was soll man da Hip-Hop-mäßig noch toppen? Damit ich noch Spaß daran hab, mach ich jetzt andere Sachen, denn ich bin ein neugieriger Mensch.

Es ist Ihnen also auch relativ egal, was andere darüber denken, solange es Ihnen Spaß macht? Das sprechen Sie ja auch im neuen Song „Fick“ an.

Delay: Wenn man Künstler ist und etwas wirklich machen will, dann muss man es durchziehen. Ohne Risiko bekommt man nichts zurück. Wenn ich nur 50 Platten verkaufe, dann ist das so, aber ich hab’s immerhin gemacht. Ich kenne mich und weiß eine weitere Funk-Platte hätte mich zu Tode gelangweilt. Dazu ist alles gesagt.

Sie haben zuvor mit Udo Lindenberg, dem deutschen Rocker, zusammengearbeitet. Hat Sie das zu einem Rock-Album inspiriert?

Delay: Nein, lustigerweise gar nicht. Das rockige an Udo in den 1980ern und 1990ern war das, was ich schlimm fand. Das hab ich ihm auch gesagt, als wir Freunde wurden. Deshalb ging es bei ihm dann auch bergab, weil sich niemand mehr für diesen Alt-Herren-Humor interessiert hat und alles gleich klang.

Hat er Ihnen das übel genommen?

Delay: Er hat das verstanden und sich bedankt, dass ich ihm das so ehrlich gesagt habe. Udo ist für mich komischerweise Soul und nicht Rock. Er ist so ein toller Typ, der tolle Geschichten erzählen kann. Seine Musik aus den 1970ern ist so funky. Aber seine Rock-Songs wie „Fieber“ mag ich gar nicht.

Wer hat Sie stattdessen beeinflusst?

Delay: Ton Steine Scherben führten viel mehr dazu, dass ich keine Berührungsängste mit Rock auf deutscher Sprache hatte.

Gab es Vorbilder für das Album?

Delay: Ja, der schreckliche Begriff „Cassic-Rock“, aber diese Sachen aus den 1970ern, die ich früher nie gehört habe, weil ich ja Hip-Hopper war. Die alten Platten von AC/DC und Led Zeppelin haben so einen geilen Sound und sind teilweise echt funkig. Das ist genau das, was wir haben wollten. Analogen, warmerdigen Rock-Sound mit zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug und bei uns gerne noch ein Rohdes oder Wurlitzer Piano dazu. Von der Energie und vom Aufs-Maul-Faktor auf jeden Fall Queens of the Stone Age, aber auch Rage Against The Machine, weil das eine der wenigen Bands war, die mich in meiner Hip-Hop-Zeit umgehauen hat.

Ihr neues Video zur Single „St. Pauli“ spielt in einer Art Kiez-Kneipe für Außerirdische. Wie kam es zu der Idee?

Delay: Die Idee dahinter war die Cantina aus Star Wars. Mit meinem Lieblings-Regisseur Jörn Heitmann hab ich darüber nachgedacht, weil ich mich nicht einfach auf die Reeperbahn stellen wollte. Wir sind dann auf die Cantina gekommen, weil das ein Ort ist, an dem gefeiert und getanzt wird, und die geilsten Freaks unterwegs sind.

Trifft das auf das heutige St. Pauli zu?

Delay: Das St. Pauli, das ich besinge, gibt es heute so gar nicht mehr. Nur noch an ganz wenigen Ecken, die du nur kennst, wenn du Hamburger bist. Inzwischen ist das alles so gentrifiziert und es kommen so viele Reisebusse für Musicals, Szene- und Kettengastronomie, dass da nur noch normale Kartoffeln rumlaufen. Aber es gibt die Ecken mittwochmorgens auf dem Hamburger Berg, wo das Feeling noch da ist.

In Ihrem Song „Kartoffeln“ prangern Sie die mangelnde kulturelle Vielfalt in Deutschland an. Momentan liegt das ur-deutsche Genre, der Schlager, voll im Trend. Helene Fischer dominiert den Echo und füllt Stadien. Stört Sie das?

Delay: Nein, diese Ebene der deutschen Schlager-Welt gab es doch schon immer. Die Musik, die ich gehört und später selbst gemacht habe, war immer die, die beim Echo nicht alles abgeräumt hat und nicht in jeder Samstagabend-Sendung war. Was Helene Fischer im Moment ist, war vor fünf bis zehn Jahren Andrea Berg, vor 20 Jahren Maffay oder Westernhagen. Das ist einfach so, denn es gibt immer die leidenschaftslose Masse. Ich möchte den Deutschen nicht zu nahe treten, aber ich finde Leute wie Helene Fischer machen Musik für Leute, die sonst keine Musik hören. Genau wie Musicals für Menschen sind, die sonst nichts mit Kultur zu tun haben. Das wird sich nie ändern, das ist aber auch okay so.

Es ist angeklungen, dass die „Absoluten Beginner“ wieder ein Projekt planen. Haben Sie mit der Arbeit schon angefangen?

Delay: Ja, schon vor drei Jahren, nach „Wir Kinder Vom Bahnhof Soul“. Ich hab zu Dennis gesagt: „Hip-Hop hab ich voll Bock drauf, und wir machen das, aber ich mach parallel meinen Rock.“ Er lebt inzwischen in Berlin, ich in Hamburg. Wir haben beide Familie. Das ist schwer zu koordinieren und nicht mehr so wie früher wo man sagen konnte: „Hey komm mal kurz rüber, ich hab nen geilen Beat.“